Der Gelbe Ball

aufgefangen von:
Dagmar Ziege

Datum: März 2020

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Folge 18:

Dagmar Ziege ist gebürtige Berlinerin. Nach Köln kam sie damals, um an der Sporthochschule zu studieren. Ihr großes Ziel: Im Fußball zu arbeiten. Nach Tina Theune-Meyer, die später erste Deutsche Nationaltrainerin wurde,  wollte Dagmar Ziege den Fußballlehrerlehrgang absolvieren. Der DFB wollte Mitte der 80er Jahre jedoch keine zweite Frau. Und trotzdem verhalf ihr der Fußball zu ihrer heute aktuellen Position.

1989 kam sie zum Stadtsportbund Köln. Knapp 10 Jahre später, 1997, veröffentlichten Professor Michael Klein und Birgit Palzkill die Pilotstudie „Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Sport“. Die Ergebnisse der Studie rütteln sie auf. Sport war seit Kindesbeinen Teil in Dagmar Zieges Leben. In den späten 1990er Jahren beginnt sie, sich professionell mit der Thematik der sexualisierten Gewalt im Breitensport auseinanderzusetzen. Sie beginnt in Köln ein Netzwerk zu knüpfen, gewinnt den damaligen Polizeipräsidenten, die Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen und Jungen, Zartbitter e.V., die Lobby für Mädchen sowie die Deutsche Sporthochschule Köln und gründet in Köln 1998 den Arbeitskreis „Rote Karte gegen sexualisierte Gewalt im Sport“. Rückhalt und Unterstützung erfährt sie von Beginn an von ihrem Arbeitsgeber, dem Stadtsportbund Köln. Der Arbeitskreis beginnt seine Kampagne gegen sexualisierte Gewalt im Sport mit Plakataktionen in Köln, es folgen Fortbildungen für Sportlehrer*innen. Auch das Erzbistum Köln greift im Rahmen seiner Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auf diese Expertise zurück.

Im Jahr 2011 wurde die Kölner Initiative „Die rote Karte“ mit dem 7. „NRW Preis für Mädchen und Frauen im Sport“ – in der Kategorie „Gewaltfrei“ – ausgezeichnet. 2017 hat sich der SSB Köln der landesweiten Kooperation „Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport“ des Landessportbundes NRW in Kooperation mit dem damaligen Sportministerium (der heutigen Staatskanzlei NRW) angeschlossen und arbeitet seitdem in der Steuerungsgruppe mit.

Frau Ziege, Sie haben den gelben Ball von Frau Mahr zugespielt bekommen. Frau Mahr schätzt Ihre herausragende Arbeit und Ihr langes Engagement für die Themen „Frauen im Sport“ und gegen „sexualisierte Gewalt im Breitensport“. Frau Mahr möchte von Ihnen wissen, wie der Stadtsportbund gegen sexualisierte Gewalt im Sport vorgeht und welche Herausforderungen Sie in der Thematisierung sexualisierter Gewalt im Sport sehen?

Der Stadtsportbund hat mir seit 1998 immer sehr große Freiheiten gegeben, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Dabei bohren wir nach wie vor dicke, dicke Bretter. Erst in den letzten Jahren hat sich in der Kölner Vereinslandschaft etwas getan. Der SSB Köln ist die Koordinierungsstelle für das „Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport“ in Rheinland. In Köln sind zwei Vereine diesem Qualitätsbündnis  beigetreten, vier weitere befinden sich gerade auf dem Weg zum Beitritt. Das ist nicht viel bei knapp 640 Vereinen in Köln. Aber die Arbeit mit den Vereinen hat erst im vergangenen Jahr begonnen. Zuvor ging es uns darum, alle Stadt- und Kreissportbünde in Rheinland  mit ins Boot zu holen. Jeder einzelne SSB/KSB wurde angesprochen, über das Bündnis informiert und bekam die Möglichkeit, eigene Ansprechpartner zentral zu qualifizieren. Bei der Ansprache und Beratung der Vereine werden wir durch die SSB/KSB unterstützt. Diese übernehmen eigenständig die Fortbildung, Beratung und Information der Vereine in ihren Kreisen und Städten. So stehen zum Beispiel Duisburg und Aachen schon auf eigenen Beinen. Nur so kommen wir überhaupt in die Fläche bei der Vielzahl der Vereine im Land. Als nächstes konzentrieren wir uns auf die Vernetzung der aktiven Vereine untereinander. Wir bieten Fortbildungen an,  kommen einmal im Jahr zu einem Netzwerktreffen  zusammen und veranstalten einmal im Jahr einen großen Fachtag zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen.

Seit 1998 hat sich wirklich viel getan. Damals konnte man das Thema der sexualisierten Gewalt im Sport kaum bis gar nicht adressieren. Auch in unserem Arbeitskreis sind wir immer wieder an Grenzen gestoßen. Die Aufdeckung der Übergriffe im kirchlichen Kontext 2010 hat dazu geführt, dass das Thema eine öffentliche Aufmerksamkeit bekam.  

Worin sehen Sie noch ein wichtiges Thema oder eine Entwicklung im Kinderschutz?

Für einen gelingenden Kinderschutz ist eine gute Zusammenarbeit essentiell. Der kurze Draht übers Telefon ist aus meiner Sicht oftmals am hilfreichsten. Es lohnt sich, ein Netzwerk über mehrere tragfähige Eckpfeiler zu spannen. Dazu gehören Fachberatungsstellen, der Kinderschutzbund, die Jugendämter u.a..

Aber nicht alle Fachberatungsstellen sind entsprechend ausgestattet und aufgestellt. Hier braucht es eine Unterstützung durch öffentliche Mittel, um ein tragfähiges, professionelles Netzwerk für die Vereine, Bünde und Verbände zu schaffen. 

Einen schnellen Überblick über die wichtigen Ansprechpartner und Fachberatungsstellen zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt in der eigenen Region kann man sich über das Hilfeportal des  unabhängigen Beauftragten  für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs verschaffen. Auch über den Kinderschutz NRW ist eine Suche möglich.

Gerade für Köln sieht es im Hinblick auf die Angebotsstruktur natürlich super aus. Hier bin ich in einer Großstadt. Der ländliche Raum ist da nochmal ganz anders herausgefordert.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Was können Sie selbst für einen besseren Kinderschutz beitragen?

Wir versuchen über das Qualitätsbündnis natürlich dieses Präventionsnetzwerk zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport aufzubauen und den Austausch unter den Vereinen,  Stadt- und Kreissportbünden und den Fachverbänden zu fördern. Der Landessportbund ist sehr bemüht, Personal für dieses Projekt zur Verfügung zu stellen und zu finanzieren. Um Kolleginnen zu unterstützen, stehen wir grundsätzlich immer beratend zur Verfügung. Wir sprechen uns untereinander sehr gut ab und sorgen dafür, dass wir übers Jahr hinweg auch in Urlaubszeiten für unsere Mitgliedsorganisationen in Notsituationen erreichbar sind. Vereine und Stadt- und Kreissportbünde können uns anrufen und wenn wir an irgendeinem Punkt nicht weiter wissen, greifen wir wiederum auf unser Netzwerk zurück. Hier ist es mir wichtig, seine eigenen fachlichen Grenzen zu kennen – und dann auf das Netzwerk zurückgreifen zu können.

Mir geht es darum, Menschen für das Thema zu sensibilisieren, sie dazu zu bewegen, hinzuschauen und sich Rat zu suchen und zu vernetzen. Dafür stellen wir auf der Seite des Landessportbundes NRW auch unterschiedlichste Materialien für die Vereine und unsere Mitgliedsorganisationen zur Verfügung. Und tatsächlich wissen wir oftmals gar nicht immer von den Eigenaktivitäten der Vereine. Viele machen sich erstmal alleine auf den Weg, fangen mit der Auseinandersetzung mit unseren Handlungsleitfäden an und melden sich erst im Laufe der Zeit bei uns für weiterführende Beratung. Dies freut mich natürlich sehr und gleichzeitig ist mein Terminkalender deshalb voll. Gerade an den Abenden, da die Arbeit in Vereinen ja hauptsächlich ehrenamtlich und nach der Arbeitszeit organisiert wird. Aber über solche Termine beschwere ich mich nicht. Jeder Verein, der kommt, ist wertvoll und übernimmt eine Vorreiterinnenfunktion. Gleichzeitig müssen wir darauf schauen, dass diese zumeist ehrenamtlichen Strukturen viele Aufgaben haben. Mein Thema ist ja nur eins von vielen, mit dem sich der Sport auseinandersetzen muss. Andere Themen sind Integration, Inklusion, Kinder und Ältere. Hier gilt es die Balance zu halten zwischen dem ehrenamtlichen Engagement und dem Wunsch, Sport zu machen und unserem qualitativen Anspruch. Es geht darum, sich auf den Weg zu machen. Das Qualitätsbündnis hilft dabei, denn gute und nach außen sichtbare Präventionsarbeit, der klare Regeln zu Grunde liegen, ist aus meiner Sicht der beste Schutz für Sportvereine nach innen und nach außen.

Was war rückblickend ein besonderes Ereignis in Ihrer Arbeit?

Es gibt ganz viele kleine Dinge, die es irgendwie auch ausgemacht haben. So eine Zusage von Ulrike Nasse-Meyfarth oder Bettina Böttinger, für unsere geplanten Plakate zur Verfügung zu stehen, oder die Rückmeldung des damaligen Polizeipräsidenten Jürgen Roters, der es super fand, dass der Sport von sich aus dieses Thema angeschoben hat. Solche positiven Rückmeldungen – also letztendlich eher Kleinigkeiten – waren es, die zwischendurch immer wieder gekommen sind und die mir das Gefühl gaben, dass sich mein Einsatz für Prävention gegen sexualisierte Gewalt im Sport lohnt.

Ein besonderes Ereignis war auch der damals 1998 und nach wie vor bestehende Zusammenschluss im Arbeitskreis „Rote Karte gegen sexualisierte Gewalt im Sport“. Wir haben da immer sehr kontrovers diskutiert, aber immer in einer Atmosphäre von großer Wertschätzung. Obwohl es auch immer wieder Wechsel in der Zusammensetzung gab, war es immer eine unglaublich befruchtende Arbeit. Und das ist eigentlich wirklich der größte Lohn, dass wir diesen Arbeitskreis, heute als Netzwerk, immer noch haben.

Woran ich mich auch immer gerne erinnere, sind die gemeinsamen Fortbildungen mit einer Kollegin, ursprünglich bei der Polizei beschäftigt und in unserem Arbeitskreis aktiv, jetzt für den Landessportbund tätig. Wir arbeiten seit Jahren zusammen, geben Fortbildungen für Ansprechpersonen im Sport, und das macht einfach riesigen Spaß und ermöglicht ein schönes Arbeiten. Wir profitieren gegenseitig von unserem Wissen und Können.

Was sind Ihre Visionen in Bezug auf den Kinderschutz und Ihre Arbeit?

Mehr Personal in allen Bereichen, bei den Fachberatungsstellen, den Jugendämtern und auch bei uns im Sport wäre das eine.

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass sich jeder Sportverein präventiv aufstellt. Dann bekommen wir zwar alle erstmal ein riesiges Problem, weil wir die Vielzahl an Anfragen gar nicht bearbeiten könnten. Aber gleichzeitig wäre das ein Problem, was wir sicherlich alle gerne angehen würden. Es geht mir noch nicht mal darum, dass sich alle Sportvereine sofort unserem „Qualitätsbündnis zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport“ anschließen. Um das Anfangen geht es mir, um die ersten Schritte. Und da wünsche ich mir engagierte Personen in den Vereinen und Vorständen, die sich den Hut für dieses Thema aufsetzen und die anderen mitziehen – das ist mir eine Herzensangelegenheit.

Dagmar Ziege spielt den gelben Ball an Ulrike Nasse-Meyfarth, zweifache Olympiasiegerin im Hochsprung, weiter. Ulrike Nasse-Meyfarth war eine der ersten, die den Arbeitskreis „Rote Karte“ unterstützt hat. Dafür war ihr Frau Ziege immer sehr dankbar.

Frau Ziege möchte von Frau Nasse-Meyfarth wissen:

Wie geht eine Leistungssportlerin mit dem Thema sexualisierte Gewalt um?Und wie engagiert sich ihr Verein Bayer 04 Leverkusen beim Thema Kinderschutz?

Sie wollen das Interview mit Frau Nasse-Meyfarth nicht verpassen? Dann melden Sie sich hier für unseren kostenlosen Info-Service an.


Interview:
Jenny Troalic, Start gGmbH

Foto:
Jenny Troalic, Start gGmbH

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