Folge 2:
Ina Lübke, Fachgruppenleiterin Familie, Senioren und soziale Einrichtungen in der Stadt Brandenburg a. d. H.
In ihrem ersten Beruf hat Ina Lübke Erzieherin gelernt. Nach der Wende studierte sie an der Fachhochschule Potsdam – im ersten berufsbegleitenden Studiengang überhaupt – Sozialpädagogik. Ihr Diplom machte sie 1996 und setzte dann noch eine Qualifikation zur Systemischen Beratung drauf. Seitdem leitet sie den ASD in Brandenburg a. d. H. Privat ist Ina Lübke „seit vielen, vielen Jahren“ verheiratet und hat einen 28-jährigen Sohn.
Ina Lübke, in der letzten Folge wollte Hans Leitner von Ihnen wissen: Was war Ihre Motivation, Ihren Job als Erzieherin aufzugeben und Verantwortung im Bereich der öffentlichen Jugendhilfe zu übernehmen?
Meine Motivation lag tatsächlich im Bereich Erzieherin: Als ich 1986 die Leitung eines Kindergartens übernahm, war das in einem Stadtgebiet, wie ich es bisher nicht kannte: mit Kindern, die aus meiner Sicht sehr auffällig waren, die aus meiner heutigen Sicht benachteiligt waren, die z. B. im Winter ohne Socken und in Sandaletten kamen. Ich setzte mich deshalb mit der damaligen Fürsorge in Verbindung. Die Botschaft dort war allerdings: „Ach, das ist ja nicht so schlimm.“ Daraufhin begann ich, dem Kind Socken und Schuhe zu kaufen. – 1991 eröffnete sich eine Veränderung meiner Berufsperspektive. Und ich sah die Möglichkeit, aus einer anderen Sicht dafür sorgen zu können, dass es Kindern besser gehen könnte, dass sie bessere Bedingungen haben. – So kam es dann, dass ich in die öffentliche Jugendhilfe wechselte.
Wo sehen Sie das aktuell wichtigste Thema im Kinderschutz?
Nach meiner Wahrnehmung ist Kinderschutz stark auf den reaktiven Bereich fokussiert. Wenn wir über Kinderschutz sprechen, reden wir über Intervention, reden wir über Eingriff, reden wir über Herausnahme von Kindern. Ich meine aber, wir sollten eher den Schwerpunkt darauf legen, eine gute Präventionsarbeit zu machen. Wir sollten weg von diesen negativen Aspekten, und stattdessen viel stärker den positiven Aspekt von Kinderschutz als Zielrichtung beschreiben – nicht als Handlungsauftrag.
Wie stehen die Chancen für eine solche Entwicklung?
Es gibt erste Ansätze in diese Richtung. Nicht zuletzt durch das Bundeskinderschutzgesetz. Hier würde ich mir allerdings wünschen, dass der erste Artikel viel mehr als Bundesgesetz wahrgenommen wird und nicht als alleiniger Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe.
Wie reagieren Sie in Ihrer eigenen Arbeit darauf?
In der gegenwärtigen Arbeit ist mir wichtig, mit den Kooperationspartnern ins Gespräch zu kommen, insbesondere mit den Berufsgruppen, die im Artikel 1 des Bundeskinderschutzgesetzes beschrieben sind. – Hier ist vor allem deutlich zu machen, wie der gemeinsame Auftrag im Kinderschutz gut wahrgenommen werden kann. Fragen sind: Wie können die Beauftragten eine gute Arbeit machen? Und was brauchen sie dafür von uns der Jugendhilfe? Wie stehen wir für eine gute Beratung zur Verfügung? Und was versteht mein Kooperationspartner unter „guter Beratung“? – Das ist eine Arbeit, die sehr basisorientiert ist und die für mich in den nächsten Monaten ansteht …. vielleicht auch in den nächsten zwei Jahren.
Ina Lübke, was war ein wichtiges Ereignis oder Erlebnis in Ihrem Leben?
Während meiner Zeit in der Adoptions- und Pflegekindervermittlung im Jugendamt begleitete ich ein Kind, das zweimal Adoptionsfamilien verließ und zurück in die stationäre Einrichtung ging. Das Mädchen war damals fünf, als es nach der zweiten gescheiterten Vermittlung selbstständig in den Zug stieg, in das ihr bekannte Heim fuhr und mich am nächsten Tag fragte: „Willst Du nicht meine Mutti werden?“ – Dieses Ereignis war der Anlass für mich, endgültig aus der Einzelfallarbeit auszusteigen. Sonst hätte ich heute wahrscheinlich 30 Kinder.
Mein privates Highlight ist meine Familie. Sie hält mir immer den Rücken frei. Für all die Ideen, die mir beruflich so im Kopf rumschwirren. Und auch für mich persönlich. Zeit zu haben, für Erholung und auch für Qualifikation.
Was wünschen Sie sich für die Kinderschutzarbeit. Haben Sie eine Vision?
Ich wünsche mir, dass sowohl Kinder als auch Familien es als selbstverständlich ansehen, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Der Begriff „Hilfe“ ist bei uns negativ besetzt, er hat immer mit einem Defizitnachweis zu tun. Aber in Wirklichkeit ist es doch umgekehrt: Hilfe holen, heißt einfach Stärke zeigen! Das ist meine Vision. Das möchte ich gern als Überschrift für die weitere Arbeit sehen.
Wo finden Kinder und Familien denn diese Unterstützung und Hilfe?
Es muss dafür gesorgt werden, dass Hilfe besser zugänglich ist. Es braucht Angebote, die eher niedrigschwellig sind. Und zwar niedrigschwellig im Wortsinn. Also nicht vom Niveau oder Anspruch her, sondern dass jeder die Angebote gut erreichen kann. Zum Beispiel mitten in der Stadt, in der Einkaufspassage.
Beratungsstellen sollten also etwas Selbstverständliches sein, mit festem Platz im Alltag?
Ja, so selbstverständlich, wie ich mit Schnupfen in die Apotheke gehe. Warum sollte ich zum Beispiel als junger Mensch nicht in die Beratungsstelle reingehen, wenn ich schon mal unterwegs bin, und mir einen Tipp für Unterstützungsmöglichkeiten holen? In vielen Situationen könnte so viel früher Unterstützung geleistet werden.
Nächste Folge
Ina Lübke spielt den Gelben Ball weiter an Professor Peter Knösel, heute Dekan an der Fachhochschule in Potsdam:
Ich habe Peter Knösel als Professor für Recht während meines Studiums schätzen gelernt. Mir ist bisher kein weiterer Kollege begegnet, der Recht so anschaulich beschreiben kann, wie Professor Knösel es getan hat. Und man hat auch immer seine Verbundenheit mit der Zielgruppe gespürt.
Ina Lübke will von Prof. Peter Knösel wissen:
Das Ausländerrecht lag ihm damals sehr am Herzen. Die Jugendhilfe war ihm auch wichtig. Aber ich hatte das Gefühl, sein Interesse dabei lag eher auf der Rechtsebene, während es beim Ausländerrecht auch einen persönlichen Bezug zu geben schien. Deshalb meine Frage an Professor Knösel: Hat sich mit seiner Arbeit als Professor an der Fachhochschule sein Blick auf junge Menschen verändert?
Ein Kommentar
Liebe Ina Lübke, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fachstelle Kinderschutz, weniger einen Kommentar möchte ich zum 2. gelben Ball geben, als vielmehr ein riesengroßes Danke! Ich bin in der glücklichen Lage, Ihre Fachlichkeit und Ihr Engagement im Kinderschutz hier vor Ort in unserer Stadt Brandenburg an der Havel regelrecht täglich nutzen zu dürfen, viel von Ihnen lernen zu können und auch die Qualitätssicherung im reaktiven Kinderschutz miterleben und auch -gestalten zu dürfen. Z.B. als Mitglied im Jugendhilfeausschuss unserer Stadt, aber auch in der täglichen Praxis. Es ist gerade Weihnachtszeit und daher erlaube ich mir einen Wunsch, eine Vision auszusprechen: Der präventive Kinderschutz muss im Einklang mit Ihrem überregional anerkannten reaktiven Kinderschutzkonzept gebracht werden, eine gesicherte Brücke fachbereichsintern muss personell fest untersetzt werden mit einem hohen Anerkenntnis auf der Leitungsebene! Und, wir wollen Sie, lieber Herr Leitner immer fest an unserer Seite haben als Fachberater, Moderator, Begleiter in der Praxis!! Herzlichste Grüße, Ihre Ute Taege