Folge 3:
Professor Dr. Peter Knösel, Dekan im Fachbereich Sozialwesen an der Fachhochschule Potsdam.
Sein Vater arbeitete im Jugendamt und war Sozialdemokrat. So wurden die beiden Kinder, Peter und seine ältere Schwester im sozialdemokratischen Sinne, das heißt „Helfen, Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich“, erzogen. Vielleicht deshalb hat Peter Knösel sich im Studium für die Fächer Jura und Politikwissenschaft entschieden. Seine Promotion widmete er dem Asyl- und Ausländerrecht. Ein Gebiet, für das er sich auch als Rechtsanwalt in Berlin leidenschaftlich engagierte. 1992 wurde er als Professor an die Fachhochschule Potsdam berufen, und seit 2003 leitet er als Dekan den Fachbereich Sozialwesen. Im Bereich Kinderschutz ist Professor Knösel seit vielen Jahren im Rahmen von Seminaren, Tagungen und Fortbildungen tätig. Unter anderem ist er Dozent bei der Qualifizierung für Kinderschutzfachkräfte der Start gGmbH und bestreitet gemeinsam mit Richter Michael Grabow den juristischen Teil der Ausbildung. Professor Knösel ist verheiratet und hat einen zwanzigjährigen Sohn. Ursprünglich kommt Professor Peter Knösel aus Norddeutschland. Er ist in Oldenburg geboren.
Professor Knösel, in der letzten Folge sprach ich mit Ina Lübke, die ja damals eine Ihrer Studentinnen war. Sie meinte, dass Ihnen als junger Professor das Ausländerrecht immer sehr am Herzen lag, und hat an Sie die Frage, ob sich im Laufe Ihrer Arbeit an der Fachhochschule Ihr Blick auf junge Menschen verändert hat.
Während meiner ersten Jahre an der Hochschule hatte ich sehr viel zum Ausländer- und Migrationsrecht gearbeitet. Von daher war ich dicht an dem betroffenen Personenkreis dran; an deren Schicksale, sozial und menschlich, psychologisch, rechtlich, finanziell, kulturell… Das ist mir oft sehr nahe gegangen. Frau Lübke hat schon sehr genau beobachtet, dass mich dieses Rechtsgebiet auch menschlich und emotional bewegt hat. Es stimmt, mein Verhältnis zur Jugendhilfe war demgegenüber ein anderes, weil ich mit dem Klientel, also den jungen Menschen und deren Familien, nicht über eine Berater- oder Rechtsanwaltstätigkeit in Kontakt stand, sondern das Gebiet nur rechtlich in der Lehre vertreten habe. Mein Verhältnis zu jungen Menschen hat sich im Vergleich zu damals in zweierlei Weise verändert: Erstens rein zeitlich. Als ich an der Hochschule anfing, war ich 40. Heute bin ich sechzig. In diesen 20 Jahren hat man sich mit seinem Blickwinkel und seinen Einstellungen ein Stück weit von der Jugend entfernt. Wenn das Studium gerade mal zehn Jahre zurückliegt, hat man noch Kontakte, z. B. übers Fußballspielen oder andere Sportarten, und man fühlt sich selber noch fast jugendlich. Doch heute geht man nicht mehr in eine Kneipe und sagt zum 25-Jährigen: Hi, wie geht’s dir, Alter? Und zweitens: Die ganze Zeit habe ich mich nach übergreifenden Themen gesehnt, wie sie z. B. die Schell-Studie bietet: Was bewegt die Jugend, ist sie sozial engagiert, hat sie Träume, hat sie politische Vorstellungen, wie wirken sich die Medien aus? Also übergeordnete Themen haben da mein Interesse geweckt. Aber letztendlich würde ich sagen, dass ich an den Themen, zu denen ich lehre oder forsche, immer nah dran bin und auch an den Menschen und deren sozialen Lage interessiert bin.
Wo sehen Sie das aktuell wichtigste Thema im Kinderschutz?
Wir haben durch das Bundeskinderschutzgesetz und durch die Änderungen des 8a und der anderen Paragrafen, wie z. B. den 79a im SGB VIII, rechtlich sehr viel erreicht. Jetzt geht es darum, weiter an den verschiedenen Konzepten der Umsetzung zu arbeiten. Ein Thema ist die frühe Unterstützung von Risikogruppen. Da muss immer wieder überlegt werden: Sozialraumorientierung, Ehrenamt, Einbindung von Regelhilfesystemen… Also, da sind wir noch nicht am Ende. Ich glaube, dass die generelle soziale Lage mit Armut und Langzeitarbeitslosigkeit und allen weiteren direkten und indirekten Folgen – und ich sehe das mit großen Bedenken – ein Klientel erzeugt hat, dass nicht in der Lage ist – teilweise natürlich schon; viele dieser Eltern machen es super gut – Kinder in all ihren Bedürfnissen intellektuell, physisch, psychisch so zu stützen, dass diese gesund und intellektuell gefördert aufwachsen. Das Recht scheint im Moment gut abgesichert, nun müssen wir das gesellschaftlich mit Leben füllen. Die drei Stichpunkte dabei sind: möglichst früh Unterstützung zu leisten, möglichst gut mit den Institutionen zu kooperieren und generell für eine bessere materielle Ausstattung der Bevölkerung zu sorgen unter den Gesichtspunkten Gerechtigkeit, Teilhabe sowie Bildung und Arbeit. Das ist, glaube ich, aktuell das Wichtigste. Das ist auch die schwierigste Aufgabe.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Einschätzung für Ihre eigene Arbeit? Wo sehen Sie für sich Möglichkeiten, die gemeinsame Aufgabe mit einem konkreten Beitrag zu unterstützen?
Da gibt es ja verschiedene Ebenen. Das eine ist, dass ich mich persönlich engagiere im Ehrenamt, z. B. im Nachbarschaftsheim Zehlendorf, und ich unterstütze den Berliner Jugendhilfeträger Jugendwohnen im Kiez durch meine Arbeit im Vorstand. Das zweite ist, dass ich wissenschaftlich diese Themen vermittle; dabei immer den Blick der Studierenden auf die Pädagogik, auf den Stadtteil und das Ehrenamt und auf die Sozialraumorientierung lenke. Und das Dritte ist, dass ich in den Kursen der insoweit erfahrenen Fachkraft bei der Start gGmbH auch immer darauf verweise, dass Recht nur die letzte Möglichkeit ist korrigierenden einzugreifen, nämlich da, wo jemand schon möglicherweise in den Brunnen gefallen ist. Und dass es vorher darum gehen muss, präventiv und unterstützend Angebote zu basteln, Nachbarschaftshilfe zu organisieren, den Stadtteil zu mobilisieren …kurzum, das menschliche Schicksal nicht zu einem juristischen Fall werden zu lassen.
Was war ein wichtiges Ereignis oder Erlebnis in Ihrem Leben?
Als ich in Gießen studierte, gab es ein Tutoren-Programm, und ich wurde als Tutor ausgewählt. Während dieser Arbeit mit den Studierenden, die in jüngeren Semestern waren, attestierte man mir eine Begabung für didaktische Vermittlung. Das hat, glaube ich, die Idee in mir geweckt, eine Laufbahn als Hochschullehrer oder als Lehrender und Vortragender in Gang zu setzen. Das ist das eine. Das andere ist die Sozialisation in einem Elternhaus, das Gerechtigkeit, Ausgleich und Unterstützung in der Vokabel führt. Auch die Liebe ist wichtig, die Geburt meines Sohnes… Familiäres Glück ist im Leben unerlässlich. Ich glaube, neben allen Faktoren braucht man Glück und braucht Menschen, die einen unterstützen und die einen auch in schwierigen Lebenslagen auffangen.
Ein Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die Kinderschutzarbeit. Haben Sie eine Vision oder vielleicht einen Rat an jemanden?
Ich würde mir A wünschen, dass das Betreuungsgeld nicht kommt. B würde ich mir wünschen, dass wir Kitaplätze in ausreichendem Maße für Kinder und ihre Eltern zur Verfügung stellen. Durch kleinere Gruppen in Kitas, durch kleine, intelligente Gruppenbildung und Unterteilung in Schulen, Elternarbeit usw. könnten wir Kindern in ihren eigenen Wünschen und in ihrem wahnsinnigen Potential mehr gerecht werden, als wir es jetzt tun. Ich wünschte mir auch, dass wir Eltern, die ihren Kindern nicht die notwendige materielle und emotionale Zuwendung geben können, so unterstützen, dass alle Kinder annähernd gleiche Bildungs-, Lern- und Lebenschancen haben.
Nächste Folge
Professor Peter Knösel spielt den Gelben Ball weiter an Andreas Hilliger, Abteilungsleiter im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg:
Ich spiele den Ball an Andreas Hilliger weiter, weil ich ihn bewundere, ob seines Sachverstandes und ob seines großen und guten Einblicks in die Verästelungen der Kinder- und Jugendhilfe, sowohl was die bürokratischen als auch die inhaltlichen Implikationen angeht. Das zeigt sich zum einem in dem guten Tagungs- und Beratungsangebot, das wir in der brandenburgischen Jugendhilfelandschaft z. B. mit dem SFBB, LISUM und der Fachstelle Kinderschutz haben. Zum anderen hat Herr Hilliger ein intelligentes Selbststeuerungssystem aufgebaut, das alle Akteure inklusive der freien Träger einbezieht und sie ermuntert, Angebote selbstreflektiv weiterzuentwickeln.
Prof. Peter Knösel will von Andreas Hilliger wissen:
Ich stelle meine Frage an Herrn Hilliger mit einem Augenzwinkern: Demnächst kommt ja das Geld vom Bund aus der Bundesinitiative Frühe Hilfen. Meine Bitte wäre: Herr Hilliger, vergessen sie dabei nicht die Familienhebammen und einen breiten Ansatz. Warum muss Brandenburg immer so sparen? Kann das Land nicht einmal über seinen finanziellen Schatten springen?