Folge 12:
Günther Baaske wurde 1957 in Belzig geboren. Nach dem Studium in Potsdam arbeitete er als Lehrer für Mathematik und Physik in Niemegk und Borkheide. Mit der „Wende“ 1989/1990 begann seine politische Laufbahn, zu dieser Zeit war er Mitbegründer des „Neuen Forums Belzig“. Ab 1990 arbeitete er 12 Jahre als Dezernent und Beigeordneter für Soziales, Gesundheit, Schule, Jugend und Kultur im Landkreis Potsdam-Mittelmark (früher LK Belzig), danach ging er in die Landespolitik als Arbeits- und Sozialminister – zwischenzeitlich war er fünf Jahre Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion.
Ende 2014 wurde der Vater von vier Kindern zum Minister für Bildung, Jugend und Sport im Land Brandenburg ernannt. Seitdem setzt er sich mit den Fragen zum Kinder- und Jugendschutz intensiv auseinander und will hier schnell und weiter voranzukommen, auch wenn aus seiner Sicht schon viel erreicht wurde.
Herr Baaske, Sie bekamen den Ball von Frau Aust und Herr Mehner der Erziehungs- und Beratungsstelle in Prenzlau zugespielt, mit der Frage, „Wie stellen sie sich die zukünftige Weiterentwicklung der Kooperation von Jugend- und Suchthilfe im Land Brandenburg vor?“
Das Thema „Sucht“ kenne ich noch gut aus meiner Zeit als Jugenddezernent in Potsdam-Mittelmark. Waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern zu DDR-Zeiten im Suchtbereich eher mit dem Problem „Alkohol“ konfrontiert, ging es jetzt um die Auswirkungen illegaler, harter Drogen. Um erfolgreich und möglichst rechtzeitig gegen die Folgen von Drogenmissbrauch anzugehen, mussten neue Hilfekonzepte entwickelt werden, die sowohl die Jugendlichen als auch ihre Eltern erreichen. Bis heute ist Prävention hier oberstes Gebot. Das heißt: Aufklärungsarbeit über die Folgen von Drogenkonsum, attraktive Freizeitangebote, die Kinder und Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl stärken. Wir müssen Familien mit Problemen rechtzeitig die passende Unterstützung anbieten, z.B. über die Hilfen zur Erziehung. Wenn Jugendliche schon süchtig sind, kann es auch notwendig sein, sie stationär unterzubringen, um sie intensiv zu begleiten. Ich denke, dass wir insgesamt gut im Land aufgestellt sind. Nicht nur die Schulen, auch die freien Träger der Jugend- und Suchthilfe tragen maßgeblich zur Prävention bei. Die Kooperation zwischen der Jugendhilfe und der Suchthilfe mit der Gesundheitshilfe ist enorm wichtig. Bewährte, wirkungsvolle Hilfen des SGB XII müssen auch suchtmittelkonsumierenden Jugendlichen zugänglich sein. Im Land Brandenburg gibt es viele professionelle Einrichtungen, die darauf spezialisiert sind. Natürlich ist auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachkräften und Akteuren, die mit Kindern, Jugendlichen und deren Eltern zusammenarbeiten, sehr wichtig. Das funktioniert vor Ort unterschiedlich gut. Deshalb müssen wir da teilweise besser werden. Wenn beispielsweise die Sozialbehörde, Mitarbeiter des Jobcenters oder des Gesundheitsamts eine Suchtproblematik in einer Familie mit Kindern wahrnehmen, geht es darum, gut vernetzt zu arbeiten, am besten gemeinsam mit den Betroffenen . Und das Jugendamt zu informieren, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dabei gilt für mich: Kinderschutz geht vor Datenschutz – dass steht für mich fest. In den Landkreisen und kreisfreien Städten gibt es eine ganze Reihe von Netzwerken und Verbänden, die auch gemeinsam die notwendigen Konzepte besprechen. Ich bin froh, dass wir hier einen gewissen Perspektivwechsel hinbekommen haben: Früher wurde auf das Suchtproblem der Eltern schnell mit einer Herausnahme des Kindes aus der Familie reagiert. Heute versuchen wir, auf die Familie einzuwirken und sagen: „Wenn Ihr möchtet, dass eure Kinder gut aufwachsen, macht Schluss mit den Drogen, denn es schadet nicht nur Euch. Nehmt Euch errnst und Eure Verantwortung wahr!“ Diese Familien brauchen professionelle Unterstützung und eine gute Vernetzung der Hilfeangebote. Ich weiß, dass dies in vielen Landkreisen schon sehr gut gelingt.
Wo sehen Sie eine wichtige Entwicklung oder ein Thema im Kinderschutz?
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen liegt mir enorm am Herzen. Kinderschutz ist sehr vielfältig, umfasst den Schutz der Kinder vor Gewalt, aber auch vor Armut, Krankheit und Vernachlässigung. Am Wichtigsten ist es, die Kinder in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken. Kinder haben Rechte. Sie haben eigene Interessen und sollen sie –im Rahmen vernünftiger Grenzen -auch durchsetzen und so ihre eigene Persönlichkeit entfalten können. Unser landesweites „Netzwerk Gesunde Kinder“ mit seinen etwa 3.000 Patinnen und Paten ist eine bundesweite Besonderheit. Wir hatten oft Besuch aus anderen Bundesländern, die sich für unser Projektinteressierten. Für ihr Ziel – starke und gesunde Kinder – haben sie ein Netz professioneller Patenschaften geknüpft. Da sind wir sehr gut aufgestellt. Seit 2012 gibt es zusätzlich die Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“. Um Familien möglichst frühzeitig zu erreichen und ihnen die vielen Unterstützungsangebote auch zugänglich zu machen, vernetzt sie präventive Angebote für werdende Mütter und Väter und Familien mit kleinen Kindern und setzt Familienhebammen zur Unterstützung ein. Bei all‘ diesen Hilfen ist es immer wichtig, dass sie unmittelbar vor Ort wirksam werden. Leider wird es – trotz allem – immer wieder Fälle von Kindeswohlgefährdung geben. Es wird immer auch Eltern geben, die ihrer Erziehungsaufgabe nicht nachkommen wollen oder schlicht nicht nachkommen können. Wir müssen diese Familien erreichen, dran bleiben und ihnen genau die Unterstützung geben, die die Eltern und ihre Kinder brauchen. Das funktioniert im Land Brandenburg über die verschiedenen Netzwerke schon sehr gut Wir haben also Einiges geschafft, aber wir dürfen uns darauf keinesfalls ausruhen.
Was können Sie als Landesregierung tun, Herr Minister? Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
In der Landesregierung haben wir schon früh angefangen, Maßnahmen zum Kinderschutz zu schaffen. Seit 2006 gibt es das „Programm zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit im Land Brandenburg“ und die „Empfehlungen zum Umgang und zur Zusammenarbeit bei Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung“. Wir haben die „Netzwerke Gesunde Kinder“ bisher jährlich mit gut einer Million Euro gefördert, um die Strukturen zu erhalten. Wir wollen diese Netzwerke stärken, damit sie sich möglichst flächendeckend im ganzen Land Brandenburg etablieren. Daher werden wir unsere Förderung auf drei Millionen Euro anheben. Eine erste Untersuchung zeigt den Erfolg der Netzwerkarbeit. Dies muss ein Ansporn sein, die Familien und Kinder in diesem Rahmen weiter präventiv zu unterstützen. Auch mit den „Netzwerken Frühe Hilfen“ sind wir gut aufgestellt. Die Netzwerkkoordinatorinnen und -koordinatoren in den Jugendämtern sind alle zertifiziert. Ich weiß, dass sie vor Ort gute Arbeit leisten. Wichtig erscheint mir, die „Netzwerke Gesunde Kinder“ und „Netzwerke Frühe Hilfen“ auch auf administrativer und Landesebene so zusammenzubringen, dass keine Parallelstrukturen entstehen, sondern sie sich stattdessen gut ergänzen. Das bekommen wir allerdings auf Landesebene nicht allein hin, das muss auch vor Ort gedacht, gelebt und vor allem organisiert werden. Die Strukturen und Voraussetzungen dafür sind in den Landkreisen und Städte sehr unterschiedlich. Es braucht auch die politische und fachliche Diskussion zwischen den Landratsämtern und den Akteuren vor Ort.
Gibt es ein besonderes Ereignis in Ihrer Arbeit, an welches Sie sich gern zurück erinnern?
Na klar, Anfang der 1990-er Jahre – damals arbeitete ich als Sozialdezernent – wurden immer mehr Kinder in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. 1990 waren es wohl ungefähr 20 Kinder und Jugendliche im Kreis Belzig , drei Jahre später schon mehr als 300. Ich wollte wissen, was die Gründe sind. Eine Sozialarbeiterin hat mich dann in eine Familie mitgenommen, bei der eine Kindeswohlgefährdung vorlag. Was ich da gesehen habe, hat mich sehr betroffen gemacht. Vor allem, dass die Vernachlässigung nicht rechtzeitig erkannt wurde. Damals waren Schule, Kita, Behörden und Nachbarn noch nicht vernetzt, so wie heute im besten Fall. Dieses Erlebnis, habe ich sehr nachhaltig auch in Bildern vor Augen. Und mir wurde bewusst, was Sozialarbeiter und – arbeiterinnen oft an schwerer Arbeit leisten. Ein anderes wichtiges Erlebnis war ein Video der „Netzwerke Gesunde Kinder“ über zwei Mütter beim Stillen ihres Säuglings. Eine Mutter war liebevoll und zugewandt, die andere abwesend und desinteressiert. In der Interaktion zwischen Mutter und Kind war deutlich zu sehen, was schieflaufen kann und dass Unterstützungsangebote frühzeitig ansetzen müssen. Hier hatten sich Jugend- und Gesundheitshilfe an einen Tisch gesetzt und gemeinsam beraten, wie man junge Mutter unterstützen kann, um die Bindung zum Kind von Anfang an zu stärken. Der Bezug zur Praxis ist mir für meine politische Arbeit schon immer wichtig gewesen. Ich habe immer wieder Praktika in Kitas und im Hort geleistet und viele Erfahrungen gesammelt: Kinder aus sozial schwachen Familien, die teilweise ohne Frühstück in die Kita kamen, Eltern, die keinen Beitrag für Schulausflüge bezahlen konnten. Ihre Kinder waren benachteiligt gegenüber Kindern aus sozial stärkeren Elternhäusern. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Geld dort einsetzen, wo die sozialen Brennpunkte sind.
Was sind Ihre Visionen in Bezug auf den Kinderschutz und Ihrer Arbeit als Minister?
Als Bildungsminister bin ich zuständig für das System Schule, das muss gut funktionieren. Ich hoffe, wir bekommen alle Lehrkräfte an Bord, die wir brauchen, um eine gute Bildungspolitik für alle Kinder und Jugendlichen zu gestalten. Ich wünsche mir, dass wir auch bei der Inklusion – „Schule für alle“ – weiter vorankommen. Auch hier ist Voraussetzung, dass wir dafür genügend Sonderpädagoginnen und -pädagogen gewinnen. Kinder mit und ohne Förderbedarfe oder Behinderungen sollen gemeinsam in einer Schule voneinander lernen können. Das wird eine große Herausforderung für unser Land Brandenburg sein – aber das gilt bundesweit. Für die Jugendhilfe wünsche ich mir starke Jugendämter, gute Leute, die konzeptionell vorausdenken und die Gefahren vor Ort rechtzeitig erkennen. Eine gute Vernetzung von Gesundheits- und Sozialbehörden sowie allen Akteuren, die mit den Kindern und Eltern arbeiten. Und dass sie auf diese Vernetzung auch für die Lösung der Probleme zurückgreifen können. Was ja auch schon passiert. Wo viele Akteure gut in Netzwerken zusammenarbeiten, funktioniert auch der Kinderschutz am besten.
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Minister Baaske spielt den gelben Ball weiter an Bernd Mones, Vorsitzender des Landesjugendhilfeausschuss. Der Landesjugendhilfeausschuss befasst sich mit den Lebenssituationen junger Menschen sowie mit allen Aufgaben der Jugendhilfe.
Der Minister möchte von Herrn Mones wissen:
Welche Hauptaufgabe der Ausschuss in dieser Legislaturperiode für seine Arbeit sieht?