Folge 14:
Cornelia Scheplitz ist im Ost-Erzgebirge geboren und aufgewachsen. 1984 zog es Sie nach Berlin an die Humboltd Universität. Dort machte sie, in einer für Deutschland turbulenten Zeit, 1989 ihren Abschluss im Fach der Kultur-wissenschaften. Darauf folgte eine kurze Anstellung als Mitarbeiterin im damals noch existenten Bezirkskabinett für Kulturarbeit, wo sie sich um die bezirkliche Jugendarbeit kümmerte. Die Wendezeit brachte dann die Auflösung der damaligen Strukturen und neue berufliche Perspektiven für Cornelia Scheplitz.
Mit einer fachlichen Absicht meldete sie sich mit einem Konzept für ein multikulturelles Jugendzentrum beim damals ganz neu eingesetzten Beigeordneten für das Ressort Jugendhilfe der Stadt Frankfurt (Oder). Das Konzept stieß auf großes Interesse und es folgte auf Drängen des Beigeordneten eine Bewerbung auf die neu zu besetzenden Stelle der Leiterin für das damals noch existierende Referat für Jungendhilfe. Mit 27 Jahren wird Cornelia Scheplitz Jugendamtsleiterin und gilt damit damals als jüngste Amtsleiterin der Bundesrepublik. Ein Sprung ins kalte Wasser, wie sie selbst sagt, da ihr als Kulturwissenschaftlerin der Jugendhilfehintergrund fehlte. Aber ihr Vorgesetzzer unterstützte Sie und gab ihr den nötigen Rückhalt.
Von diesem Rückhalt und ihrem jugendlichen Ehrgeiz zehrte sie in den Folgejahren des Auf- und Umbaus der Jugendhilfestrukturen in Frankfurt (Oder). Selbst 1992 Mutter eines Sohnes geworden, wuchs Cornelia Scheplitz gleichzeitig in ihre Aufgaben in einer Zeit, wo plötzlich vieles möglich war und Kreativität gefragt war. So ist sie in der Kinder- und Jugendhilfe groß geworden und bis heute als Abteilungsleiterin der Abteilung Jugend, Familie, soziale Dienste der Stadt Frankfurt (Oder) tätig.
Frau Scheplitz, Sie haben den gelben Ball von Herrn Mones zugespielt bekommen. Er schätzt Sie als eine sehr konstruktive Kollegin in der Jugendhilfe und möchte von Ihnen wissen, wie Sie die aktuelle Situation zwischen Kommune und Land einschätzen. An welcher Stelle müssen aus Ihrer Sicht die Kommunen selbst Verantwortung übernehmen und welche Erwartung haben sie an das Land bezogen auf die Themen Kinderschutz und Kinder- und Jugendhilfe?
Hier würde ich gern einen kleinen persönlichen Akzent setzen. In meiner langjährigen beruflichen Laufbahn im Land Brandenburg haben sich zu einigen Kollegen auf Landesebene, denen ich seit mehr als 20 Jahren zu unterschiedlichen fachlichen und fach-politischen Fragen der Entwicklung der Jugendhilfe immer wieder begegnet bin, gute und stetige Beziehungen aufgebaut, die es mir ermöglichen, Entscheidungen, die auf Landesebene getroffen werden, vor diesem Hintergrund zu bewerten. Die Frage von Herrn Mones möchte ich aber nicht vor diesem persönlichen Erfahrungshintergrund beantworten, sondern vielmehr aus meiner fachlich gewachsenen Perspektive. Aus meiner Sich hat das Land Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern die kommunale Selbstverwaltung schon immer sehr ernst genommen und ernst gemeint. Das verbinde ich einerseits auch mit der Stetigkeit einzelner Personen, anderseits ist es aber auch eine Landeshaltungsfrage. Kommunale Selbstverwaltung in der Jugendhilfe ist in Brandenburg gesetzt. Eine fürsorgliche Belagerung gibt es in Brandenburg nicht. Trotzdem kann man nicht von einem absoluten Rückzug des Landes sprechen. Vielmehr ist dem Land daran gelegen, die Kommunen durch gezielte Beratungs- und Ünterstützungsangebote zu aktivieren und zur Mitwirkung aufzufordern. Beispiel guter fachlicher Begleitung und Unterstützung durch das Land ist aus meiner Sicht die Etablierung des Praxisbegleitsystems der Fachstelle Kinderschutz oder auch die verstetigte Förderung von Beratungskontexten in der Jugendarbeit. Dennoch korrespondiert die Haltung des Landes nicht immer mit den Erwartungen der Jugendämter. Diese äußern immer wieder den Wunsch nach mehr Steuerung durch das Land. Hier das Maß zu halten an aktiver Steuerung und Unterstützung und kommunaler Selbstverwaltung ist aus meiner Sicht nicht immer einfach.
Auch meine Kollegen bewerten die Zusammenarbeit mit dem Land ganz unterschiedlich. Während in einigen Bereichen ein stetiger fachlicher Austausch sowie eine gute Kooperation und Vernetzung zwischen Land und Kommune stattfindet, verläuft es in anderen Bereichen schleppender. Dies hängt sowohl mit den Themen als auch den beteiligten Personen zusammen. Kritisch betrachte ich die Zusammenarbeit zwischen Land und Kommune für den Bereich der Kindertagesbetreuung. Nicht nur bei der Frage um die Ausfinanzierung des Kita-Bereiches in den Kreisen und kreisfreien Städten wünsche ich mir mehr Zuwendung und gemeinsame Bearbeitung mit dem Land. Auch bei der Bearbeitung und fachlichen Auseinandersetzung mit kitarelevanten Themen sehe ich die Notwendigkeit, sich besser zu vernetzen, auszutauschen und miteinander in Kontakt zu sein jenseits von Gerichten.
Worin sehen Sie noch ein wichtiges Thema oder eine Entwicklung im Kinderschutz?
Es ist schon viel Gutes geschehen. Mit Einführung des Bundeskinderschutzgesetztes kam ein erneuter Schub in die Jugendämter, die Akteure im Kinderschutz zu vernetzen und für ein gesundes und sicheres Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu sorgen. Seitdem hat aus meiner Sicht auch die Fachlichkeit in der Fläche im Land Brandenburg zugenommen. Dabei hat sich das Thema Kinderschutz über den Kernbereich der Jugendämter hinaus etabliert und vertieft. Und trotzdem gibt es nach wie vor Themen im Kinderschutz, die herausfordern. In Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, wie beispielsweise Kita’s und Jugendfreizeiteinrichtungen, geht es immer noch um ganz grundsätzliche Fragen wie „Was ist Kinderschutz?“, „Woran erkenne ich eine Gefährdungssituation?“, „Was sind Handlungsschritte im Kinderschutz?“, „Wer sind meine Ansprechpartner im Kinderschutz?“. Hier gilt es für die Jugendämter immer wieder am Ball zu bleiben, gesetzliche Änderungen im Blick zu haben, für die kommunale Praxis zu übersetzen und dorthin zu transportieren. Ob die bevorstehenden Änderungen im Rahmen der Gesetzesreform des SGB VIII aktuelle Mängel im Kinderschutz beheben können, bleibt fraglich. Aus meiner Sicht geht es nicht darum, immer wieder neue Instrumente einzuführen sondern vielmehr darum, kinderschutzrelevante Themen wiederkehrend in der Praxis zu platzieren und eine Fachlichkeit und Sensibilität für den Kinderschutz zu entwickeln, die in die Fläche reicht. Damit bleibt das Thema Kinderschutz ein dauerhaftes Thema, nicht zuletzt weil auch die Arbeitsbelastung vieler Mitarbeiter in den Jugendämtern zunimmt und Aufgaben immer komplexer werden.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Was können Sie selbst für einen besseren Kinderschutz beitragen?
Meine Kollegen sind tagtäglich damit beschäftigt, Familien zu unterstützen und Kinder im Ernstfall auch zu schützen. Die Anforderungen, die ein Sozialarbeiter erfüllen muss, sind enorm. Davor ziehe ich wirklich meinen Hut. Aber das allein reicht natürlich nicht. Die wahrscheinlich größte Herausforderung ist es, eine Arbeitsatmosphäre und Rahmenbedingungen zu schaffen, in der Sozialarbeiter öffentlicher als auch freier Trägern ihren komplexen Aufgaben gerecht werden können. Meine Themen sind in diesem Kontext logischerweise Führungsthemen. Mir geht es darum, meine Kollegen zu ermuntern, aktiv mitzugestalten. Und eine gute Fehlerkultur im Sinne einer Fehlerfreundlichkeit ist mir wichtig. Es ist mitunter schwierig, eine Kultur aufzubauen, die von Schuldzuweisungen absieht. Man kann nicht kritisch mit Themen umgehen, wenn die Kollegen die ganze Zeit im Abwehr- und Verteidigungsmodus sind. Das ist eine ziemlich schwierige Führungsaufgabe. Hier bemühe ich mich, ein gutes Vorbild zu sein, die Dinge klar zu benennen, nicht drum rum zu reden und den Kollegen Sicherheit zu geben. Letztlich führt das ja zu einer Entlastung und auch Weiterentwicklung der eigenen fachlichen Arbeit. Grundsätzlich geht es mir darum, eine Kultur des Miteinanders und voneinander Lernens zu schaffen. Das gilt auch für die Kooperation mit anderen Fachkräften und Fachstellen. Und da merke ich, dass eine Kommunikation auf Augenhöhe mit anderen Fachkräften Kollegen manchmal auch schwer fällt. Hier bin ich als Leitung immer wieder gefragt, Kollegen zu ermuntern und zu erinnern, dass wir nicht in Konkurrenz zu anderen Fachkräften stehen, sondern die unterschiedlichen Perspektiven der Professionen für die eigene fachliche Arbeit dringend brauchen und auch nutzen möchten. Denn das macht für mich einen professionellen Sozialarbeiter aus. Einerseits ist das eine Frage der eigenen inneren Haltung, andererseits aber auch eine Frage von Zeit, die ich mir für diese Frage nehmen kann und/ oder nehme. Und auch wenn mein Arbeitsalltag natürlich ganz anders aussieht als der meiner Kollegen und ich hier klug daher kommen kann, erlaubt es aber eben gerade diese Distanz, an diese Haltung zu erinnern. Zeit ist in der sozialen Arbeit – erst recht im Kinderschutz – eine zentrale Kategorie. Es ist wichtig, dass Sozialarbeiter hinreichend Zeit haben, um SEHEN zu können. Zeitfresser können sie nicht gebrauchen und dennoch gibt es sie überall in unseren Diensten. Auch bei uns. Gerade bemühen wir uns um die Identifikation von Zeitfressern und um Strategien, diese zu vermeiden.
Was war rückblickend ein besonderes Ereignis in Ihrer Arbeit?
Es sind zwei Ereignisse, die sehr prägend für meine Arbeit waren. Eines war mit Sicherheit die Umbruchsituation zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn. Der Aufbau der Jugendämter bei gleichzeitigem Um- und Abbau der Kitalandschaft in Frankfurt (Oder) war dramatisch und auch rückblickend schätze ich das immer noch als eine enorme Herausforderung für alle Seiten ein. Für mich war es zudem auch eine sehr persönliche Herausforderung, da ich selbst 1992 Mutter geworden war und zeitgleich in den schwierigsten Themen dieser Stadt involviert war. Dass das in Frankfurt (Oder) letztlich so gut gelungen ist, darauf bin ich wirklich stolz.
Und das zweite Ereignis bezieht sich unmittelbar darauf. Im Jahr 1998 kamen die beiden Jungen Tobias und Kevin zu Tode. Sie waren in ihrer Wohnung verdurstet, weil ihre Mutter sie alleine gelassen hatte und sich niemand um diese Kinder gekümmert hatte. Der Tod dieser beiden Jungen war ein Paukenschlag. Sowohl für uns als Fachamt als auch für die Öffentlichkeit. Dieses tragische Ereignis war einer der Auslöser, der dazu führte, dass sich die Fachöffentlichkeit und die politische Öffentlichkeit nicht nur in Frankfurt (Oder) sondern bundesweit dem Thema Kinderschutz nochmal sehr viel stärker zugewendet hat. Die Antworten auf die Fragen „Wie gut sind wir eigentlich wirklich aufgestellt?“, „Welche Vernetzungsstrategien haben wir entwickelt, wie verbindlich sind diese und wie verlässlich tragen sie entscheidenden Moment?“ wurden neu auf den Prüfstand gestellt. Für mich persönlich waren das tief einschneidende Ereignisse, die aber auf fachlicher Ebene letztlich ganz viel Positives bewegt haben.
Was sind Ihre Visionen in Bezug auf den Kinderschutz und Ihre Arbeit?
Ich denke, dass Kinderschutz eine Daueraufgabe bleibt. Die fängt man nicht heute an und beendet sie morgen. Ich wünsche mir, dass wir hinreichend Fachkräfte in unserem Land haben werden, die sich dieser Aufgabe stellen wollen. Ich wünsche mir auch, das wir hinreichend Führungskräfte haben, die gute Vorgesetzte für ihre Kollegen sind. Wir brauchen auch zukünftig gute Kooperateure, die auf Augenhöhe offen miteinander sprechen. Ich habe auch den Wunsch, dass relevante Themen der Kinder- und Jugendhilfe auf politischer Ebene besser durch uns vermittelt werden. Oft steht uns unser Fachjargon im Wege und wir bleiben unerkannt oder doch missverständlich. Aber der Legitimationsdruck für Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe wird uns weiterhin begleiten. Hier müssen wir in der Verständigung eine bessere Sprache finden. Grundsätzlich geht es darum, mit einem gesunden Selbstbewusstsein auf das zu verweisen, was die Kinder- und Jugendhilfe zu bieten hat. Den wenigsten ist bewusst, dass Angebote wie die Kindertagesbetreuung Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind. Sie werden als selbstverständlich wahrgenommen, erst wenn sie weg brechen, ist das Staunen groß. Und das ist auch schön, dass es so selbstverständlich ist. Und trotzdem tut sich Jugendhilfe oft schwer, für sich selbst Werbung zu machen. Da müssen wir noch besser werden.
Und natürlich wünsche ich mir vor dem Hintergrund der bevorstehenden Kreisgebietsreform, dass das Jugendamt Frankfurt (Oder) erhalten bleibt. Ich persönlich zweifele den Sinn der Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte an. Es wird sehr viel Energie in die Neuordnung der ganzen Strukturen, Standards, Verfahren und Prozesse fließen. Wir werden eine ziemlich lange Zeit mit uns selbst beschäftig sein. Da kann man das ganze Unternehmen schon mal in Frage stellen. Letztlich wird es, egal wie es kommt, darum gehen, wie man das eigentliche Ziel im Auge behält. Es muss auch weiterhin darum gehen, dass für die Frankfurter Kinder und die Kinder im Land Brandenburg best möglich gesorgt wird. Und das wird auch zukünftig oberste Priorität haben, unabhängig von den strukturellen Änderungen.
Cornalia Scheplitz spielt den gelben Ball an die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses der Stadt Frankfurt (Oder), Frau Sandra Seifert, weiter. Sie schätzt Frau Seifert als erfahrene und fachpolitisch starke Jugendhilfepolitikerin.
Frau Scheplitz möchte von Frau Seifert wissen:
Wie sehen Sie die wesentlichen Gestaltungsräume im Kinderschutz für den Jugendhilfeausschuss in Frankfurt (Oder) bzw. grundsätzliche die
Jugendhilfeausschüsse? Welche „Rahmenbedingungen“ benötigt es für gelingendes Gestalten und welche sind mitunter hinderlich?